Auf den Spuren der Jesuiten...

von Katharina und Denis Möller

Reisebericht über eine ganz außergewöhnliche Reise vom 26.12.2003 – 10.01.2004
Rio Grande do Sul / Brasilien – Corientes-Misiones / Argentinien

 

 

Mit der Entdeckung Amerikas kamen nicht nur Siedler, Sklavenjäger und Eroberer, sondern auch Missionare in das Gebiet um die Mündung des Rio de la Plata. Die Jesuiten nahmen dieses gefährliche Abenteuer nicht auf, um Menschen auszubeuten oder aus Fanatismus die Indianer zu konvertieren, sondern um aus tiefen christlichen Glauben das Leben der wilden Indianer zu verbessern und sie vor den Sklavenjägern aus Sao Paulo zu retten. In dem sich so in 100 Jahren gebildeten Jesuitenstaat Paraguay wurden die ökonomischen, künstlerischen und sozialen Fähigkeiten verschiedener Völker auf einen Höhepunkt gebracht, den es so wohl nie wieder gegeben hat...

 

reduktionen01_Seite_1_Bild_0001Nachdem wir in Porto Alegre gelandet waren und ein paar Tage in Santa Cruz bei unseren Verwandten verbracht hatten, machten wir uns am Freitag, den 2.1.04 auf den Weg nach Sao Miguel das Missoes, die erste Station auf der Spur der Jesuiten. Dorthin mussten wir ca. 430 km mit dem Bus zurücklegen. Auf der Fahrt sahen wir endloses Weideland, das von den Jesuiten auch früher schon als Naturweideland genutzt wurde. Gegen 16.30 Uhr erreichten wir Sao Miguel das Missoes, einen ersten Höhepunkt auf unserer Reise. Schon die Unterbringung in unserem Hotel war ein Erlebnis, da das Hotel in einem Baustil erbaut wurde, der an die Jesuiten erinnern sollte. Zum Beispiel hatten die Zimmer Namen von historischen Indianerstämmen und Häuptlingen. Als wir dann die historische Meile (den Parke Historico) betraten, waren wir überwältigt von dem, was wir dort vor fanden. Auf dem riesigen Gelände waren die Ruinen einer großen Kirche und vieler Häuser, die zusammen eine Reduktion bildeten. Die Steine schienen, als würden sie sprechen, um uns zurück zu versetzten in eine Zeit, wo hier Großes geschah. Denn niemals vorher und nachher haben die Indianerstämme der Gurani und Chulupí größere Kunstwerke vollbracht als in der Zeit des Jesuitenstaates. Diese Kunstwerke in Form von christlichen Holz- bzw. Steinstaturen und Evangeleare, etc. durften wir auf dem Gelände in einem beeindruckenden Museum besichtigen. reduktionen01_Seite_1_Bild_0002Danach sahen wir einen 10-minütigen Film, der von dieser Reduktion handelte und durch den wir weitere Informationen über den Jesuitenstaat bekamen. Ein erneuter Höhepunkt, der uns weiter in die Geschichte dieser Region führte, war eine Licht- und Tonschau, die nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Gelände der Reduktion stattfand.

Das gesamte Gelände der Ruinenstadt, das wir von einer Tribüne aus einsehen konnten, wurde durch hunderte große in allen Farben leuchtenden Strahler in eine mystische, lebendige Welt verwandelt, dessen Mittelpunkt immer die große Kirche bildete. In einem Zeitraffer erklärte man uns die Geschichte des Ortes und des Jesuitenstaates. Eine große Menschenmenge kann täglich diese Schau erleben.

reduktionen01_Seite_2_Bild_0003Am nächsten Morgen setzten wir unsere Reise nach Westen fort. Wir folgten den alten Routen der Jesuiten in die Reduktionsstadt Sao Borja und überquerten hier den riesigen Uruguay- Fluss, der eine wichtige Ader des Jesuitenstaates war. Denn über den Rio de la Plata - Rio Urugay erreichten viele Jesuiten ihr Einsatzgebiet. Hier betraten wir argentinischen Boden. Durch bürokratische Probleme dauerten die Einreiseformalitäten mehrere Stunden. In Argentinien setzten wir unsere Reise durch die Provinz Corientes fort. Diese Provinz war Teil des Jesuitenstaates. Kurz hinter der Grenze durchquerten wir das Gebiet der Stadt Santa Tomé, die auf den Fundamenten einer alten Reduktion aufgebaut wurden ist. Die Straßen, auf denen wir nach Norden fuhren, waren in sehr guten Zustand. Rechts und links der Straßen dehnte sich unendliches Weideland aus, das nur durch den Horizont begrenzt wurde. Die großen Rinderherden grasen hier das ganze Jahr im Freien, da es keinen richtigen Winter gibt. Schon als die Jesuiten in das Gebiet kamen, gab es hier riesige Rinderherden, die sich selbstständig vermehrt hatten und die die Nachkommen von entlaufenen Rindern waren. Wenn die Jesuiten neue Reduktionen gründeten, konnten sie aus dem Reichtum dieser Rinderherden schöpfen.

reduktionen01_Seite_2_Bild_0002Unsere Fahrt nach Norden, was auf der Südhälfte der Erde eine Fahrt in Richtung Äquator bedeutet, näherte sich der Provinz Misiones, dem Hauptziel unserer Reise. Immer mehr Wälder mischen sich in das Landschaftsbild. Als wir bei dem Ort Apostoles die Grenze nach Misiones überquerten, bestimmte Wald den Charakter der Umgebung. Viele Urwaldflüsse durchkreuzen die kleinen

Täler der hügeligen Landschaft, in der Schwarztee und Zuckerrohr angebaut wird. Endlich erreichten wir dann nach über 9 Stunden Fahrt unser Ziel, das Hotel Castilio in Capiovy, Misiones. Während des Abendessens suchte der berühmte und viel beschäftigte Pater Josef Marx das Hotel auf und begrüßte jeden einzelnen von uns sehr herzlich. Es wurden Gespräche bis tief in die Nacht geführt. Am nächsten Morgen stellte uns Pater Marx einen sehr gebildeten, Deutsch sprechenden Reiseführer zur Seite, der uns nach San Ignacio mini, eine der am besten erhaltenen Ruinenstadt, begleiten sollte. reduktionen01_Seite_2_Bild_0001Unterwegs konnte uns der Reiseführer Herr Limberger schon viel über die Geschichte der Jesuiten, der Region und dem heutigem Leben in Misiones erzählen. Als wir die Ruinenstadt erreichten, ging es zuerst in ein sehr interessantes Museum, das uns eine nette Führerin erklärte. Nachdem wir nun das Ruinengelände mit den Wohnungen der Indianern, den Werkstätten, wo die Indianer Großes schufen, das Haus der Priester und dann als Höhepunkt die Kathedrale betraten, waren wir überwältigt. Wir waren am Ziel unserer Reise und es war schöner und ergreifender als man sich es hätte vorstellen können. Nach dem Mittagessen hatten wir die Gelegenheit den nur 4 km entfernten Strom Paraná zu bestaunen. reduktionen01_Seite_3_Bild_0002Hierzu mussten wir in Geländewagen umsteigen, durch die engen Urwaldwege fahren und auch ein Stück zu Fuß wandern, um auf einen über 100m hohen Felsen zu gelangen. Von dort aus hatten wir einen majestätischen Blick auf den 1,5 - 2 km breiten Fluss, der an dieser Stelle bis zu 120m tief ist und in dem über 2m lange Fische leben. Erst hier, als man die Natur hautnah erlebte, merkte man, dass man sich nahe der Tropen befand. Wir sahen Riesenwespen, Eidechsen, große Käfer und Schlangen zwischen Kakteen, dichtem Gestrüpp und Palmen. Und die Schwüle dazu war unerträglich und machte schnell träge und gleichgültig. Am Abend besuchten wir eine Hl. Messe in der Kirche des Dorfes Ruiz Montoya, die von dem uns begleitenden Pfarrer Heinz Josef Möller und Pater Josef Marx gehalten wurde. Nach der Messe lud uns die ansässige Gemeinde zum Abendessen in das Pfarrzentrum ein. Da viele in dieser Gemeinde Nachfahren deutscher Einwanderer waren und sogar noch Deutsch sprechen konnten, entstand ein reger Meinungsaustausch mit unserer Gruppe.

reduktionen01_Seite_3_Bild_0001Pater Marx, der uns so wunderbar in den 2 1⁄2 Tagen Land und Leute vorgestellt hat, sieht seine Aufgaben darin, in seinem täglichen Wirken, an das anzuknüpfen, was durch seine jesuitischen „Vorgänger“ vor Jahrhunderten geleistet worden ist. Die Jesuiten prägten das Land geistlich und wirtschaftlich und so versucht Pater Josef Marx neben seiner Arbeit als Seelsorger auch auf die anderen Notwendigkeiten seiner Gemeinden einzugehen.

Eine seiner größten Leistungen ist das Schulsytem EFA, das er dort aufgebaut hat. Zur Zeit gibt es 18 dieser Berufsfachschulen mit Abiturabschluss. Die Schüler sind eine Woche im Wechsel in den Schulen als Internat und danach wieder eine Woche auf den elterlichen, landwirtschaftlichen Betrieben. So verlieren die Schüler nicht den Kontakt zur Familie und zur Arbeit. Eine dieser Schulen widmet sich speziell Indianerkindern und ihren Familien. Die Teilnehmer unserer Gruppe und wir selber waren sehr beeindruckt von dem Aufbau dieser Schulen. Der Leistungsstandard ermöglicht es guten Schülern sogar auf deutschen Universitäten weiter zu studieren!

reduktionen01_Seite_3_Bild_0003Eines der erfolgreichsten Wirtschafsprojekte, welches Pater Marx durch die Gründung einer Genossenschaft „ins Leben rief“, war eine Stärkefabrik, in der Mandiocawurzeln zu Stärke verarbeitet werden. Stärke ist ein sehr wichtiger Rohstoff für viele Fertigprodukte, wie z.B. Klebstoff, Plastik etc. Nachdem Pater Marx uns die Fabrik und die Geräte genau erklärt und wir auch das Lager besichtigt hatten, fuhren wir zu einer Churrasquería zum Mittagessen. Bei dieser Gelegenheit wurden in einer kleinen Zeremonie durch unseren Bürgermeister Konrad Aselmeyer und Museumswart Reinhold Hollemann einige wertvolle Geschenke an Pater Marx übergeben. Wir überreichten sie ihm in Anerkennung seiner Leistungen für die Menschen in Misiones und dafür, dass er sich so viel Zeit für unsere Reisegruppe aus Borsum genommen hatte.

Am Nachmittag machten wir uns mit dem Bus in den Urwald auf. Auf einer neuen Straße fuhren wir vorbei an riesigen Schwarzteeplantagen und an kleinen Indianerdörfern auf einen Bergrücken, der uns einen Blick über unberührte Urwälder gab. Wir hielten kurz an und ließen diese beeindruckende Landschaft auf uns wirken. Hoffentlich bleiben diese Wälder den nachfolgenden Generationen noch lange erhalten.

reduktionen01_Seite_4_Bild_0002Wir setzten unsere Fahrt fort und stießen auf ein bewohntes Indianerdorf. Von der Straße aus konnte man nur die kleinen Verkaufsstände sehen. Pater Marx ging behutsam auf die zurückhaltenden Indianer zu und hörte sich ihre Sorgen und Nöte an. Uns übersetzte er, dass sie erst vor ein paar Monaten aus einem Indianerdorf vertrieben wurden und jetzt hier ganz neu anfangen mussten. Nun war das Vertrauen da, sodass wir uns auch ihre Hütten, die hinter einer Buschreihe, von der Straße nicht sichtbar, lagen, anschauen konnten. Wir bemerkten, dass sie sich über unseren Besuch freuten, da sie sahen, dass wir ihnen Aufmerksamkeit schenkten und sie achteten. Pater Marx hat, als ihr wichtigster Freund und Verbündeter, u.a. eine Cooperativa, St. Alberto gegründet, die sich um gerechte Preise und den Vertrieb der handwerklichen Erzeugnisse der Indianer kümmert. In einem Laden in Capiovy bietet die Cooperative Holzschnitzereien, Gebrauchsgegenstände (verschiedene Arten von Körben), Ketten, Rosenkränze in allen Größen und geflochtene Kreuze mit einem Korpus, den wir in dieser Form noch nie gesehen hatten, an.

reduktionen01_Seite_4_Bild_0001Besonders beeindruckt waren wir von einem Künstler, der gerade für den Bischof von Hildesheim eine Krippe zu Ende schnitzte. Er wohnte in einem von Pater Marx errichteten Steinhaus, das ihm deswegen Schutz vor einer Vertreibung bieten sollte, da nach argentinischem Recht (Heimstätten Gesetz) Bewohner eines festen (aus Stein gebauten) Hauses nicht vertrieben werden können. Noch die Bilder dieses Tages vor Augen kehrten wir in unser Hotel nach Capiovy zurück. Im Verlauf des Abends hatten wir Gelegenheit in der wunderschönen Fatimakapelle, die von Herrn Ernst Kleipass aus Friedrichshafen errichtet wurde, einen Gottesdienst zu feiern, der wiederum in Concelebration von Pater Josef Marx und Heinz Josef Möller gehalten wurde.

Es war der letzte Abend unseres Aufenthalts in Capiovy und Pater Marx lud uns zu einem Abschiedsabend ins Pfarrzentrum ein, wo wir zusammen mit den Bürgern aus Capiovy essen, trinken und feiern sollten. Unsere Gastgeber überraschten uns mit einer Tanzgruppe, die mit ihren bunten langen Kleidern herrliche Tänze vorführten und am Ende die Gäste einzeln zum Tanz aufforderten. Dann kam der Morgen des Abschieds. Aber wir verabschiedeten uns in der Hoffnung, dass wir ihn im Juni in Deutschland wiedersehen werden. Wir bekamen einen besonderen Reisesegen von Pater Marx und setzten die Fahrt Richtung Norden fort mit dem Ziel Wasserfälle von Iguaçu. Für viele, die dieses Naturschauspiel einmal sehen dürfen, ist es das überwältigenste, was sie je gesehen haben. Die Argentinier haben im Umfeld der Wasserfälle eine hervorragende Infrastruktur, die mit der Umwelt harmoniert, entwickelt.

reduktionen01_Seite_5_Bild_0001Gegend Abend verließen wir die Wasserfälle und überquerten ohne große bürokratische Schwierigkeiten die Grenze nach Brasilien. Am nächsten Tag verabschiedeten wir uns von dem Gebiet des alten Jesuitenstaates, auf deren Spuren wir uns bis hierher bewegten. Wir setzten unsere Reise fort zur letzten Station unseres Aufenthalts in Südamerika, nämlich nach Rio de Janeiro. Es war ein großer Abschluss mit den Superlativen, wie z.B. Zuckerhut, Corcovado mit der Christusstatuae, und den Stadtteilen Copacabana, Ipanema, Leblon, Jardin Botanico und Sao Conrado.

Aber auch die schönste Reise geht einmal zu Ende und auf dem 13-stündigen Flug nach Frankfurt hatten wir Zeit über das Erlebte nachzudenken. Es kam uns wie ein Film vor, in dem wir selber mitspielten. Wir dachten an die wunderschönen Tage in Südbrasilien und Argentinien zurück. In diesen Ländern erlebten wir große Geschichte, große Gegenwart und aufregende Natur. Und besonders dankbar waren wir für die Herzlichkeit und die freundliche Aufnahme der dort lebenden Menschen. Wir werden sie und ihr Land nicht vergessen!

Aktualisiert (Samstag, den 19. März 2011 um 16:09 Uhr)